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Arts & Cinema & Activism

INTROSPECTION

Fr 29.11.
18:00

  • Filme

    H2O (Ralph Steiner, USA 1929, 14 Min.)
    Pie in the Sky (Nykino (Ralph Steiner, Irving Lerner & Group Theatre Members Elia Kazan, Ellman Koolish, Molly Day, Russell Collins), USA 1935, 16 Min.)
    Synchromy No. 4 (Escape) (Mary Ellen Bute, USA 1937, 4 Min.)
    The World Today (Black Legion) (Nykino, USA 1936/37, 6 Min.)
    Five Film Excercises (James Whitney, John Whitney, USA 1945, 20 Min.)
    Introspection (Sarah Kathryn Arledge, USA 1947, 6 Min.)

  • Kino

    Arsenal 1

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  • Zu Gast: Henning Engelke

Art & Cinema & Activism

Jay Leydas Engagement für politisch revolutionäres Kino war eng verbunden mit seinem Einsatz für eine revolutionäre Filmästhetik. Als Filmemacher, Kritiker, Autor, Kurator und Filmhistoriker war er in verschiedene US-amerikanische und internationale Dokumentar- und Experimentalfilmbewegungen involviert. Dieses Programm versammelt Filme aus den USA der 1930er und 1940er Jahre, die Leydas übergreifendes Interesse an politischem Film und formalem Experiment widerspiegeln. Nicht immer war Leyda direkt beteiligt, doch zeigen die Filme einen Kontext auf, in dem sich sein Denken entwickelte und den er durch seine Arbeit mitprägte. Dabei geht es auch um Leydas Rolle als Vermittler von Eisensteins Ideen zu dialektischer Filmform und visueller Musik. Das Programm schlägt eine Brücke zwischen politischen Gruppen wie der Workers Film and Photo League und Nykino, abstraktem Film und den Anfängen der vermeintlich apolitischen US-amerikanischen Nachkriegsavantgarde. Leydas oft übersehener Einfluss auf die Experimentalfilmbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg wird auch in seiner prägenden Rolle für die bahnbrechende von 1946 bis 1954 durchgeführte Filmreihe „Art in Cinema“ am San Francisco Museum of Art deutlich. Leyda – der im Programm wohl auf eigenen Wunsch ungenannt blieb – entwickelte die erste Programmserie als dialektischen Überblick über die historische Filmavantgarde. Es ging, so heißt es in einem Brief eines der Organisatoren an den Filmkritiker Arthur Knight, “um ein klares Bild der widerstreitenden, oft gegensätzlichen Einflüsse in der modernen Kunst insgesamt; wie Leyda es versteht, kann die Reihe die vielfältigen ‚Hintergrund-Kräfte‘ moderner Kunst widerspiegeln; Freud und das Unterbewusstsein, Wissenschaft, Technologie und revolutionäre Sozialphilosophie. Letzterer Punkt war besonders wichtig für die Konzeption des Programms.” (Richard Foster an Arthur Rosenheimer [Knight], 31. Juli 1946, Art in Cinema Collection, Pacific Film Archive, Berkley)

Ralph Steiner drehte H2O, bevor er der Workers Film and Photo League beitrat und sich politisch enagiertem Filmemachen zuwandte. Der Film konzentriert sich auf Spiegelungen an Wasseroberflächen. Mit der Zeit werden die gespiegelten Objekte immer schwieriger zu identifizieren. Doch was aussieht, wie eine zunehmend abstrakte Komposition in Bewegung, erweist sich als Ergebnis genauen Beobachtens – abgefilmt vom Objekt, ohne Nachbearbeitung im Studio oder Kopierwerk. Steiner verstand seinen Film als Studie des filmischen Sehens und als “Revolte” gegen Hollywood: “Am wichtigsten erschien es […], Dinge zu tun, zu denen der Film fähig war, die aber das kommerzielle Kino nicht tun wollte und konnte.” Jay Leyda hatte mit Ralph Steiner bereits brieflich korrespondiert, bevor er 1929 – also während oder kurz nach der Fertigstellung von H2O – nach New York zog, um als Steiners Assistent zu arbeiten.

Für die antireligöse Satire PIE IN THE SKY arbeitete Steiner mit Mitgliedern des Group Theatre zusammen, zu denen der später als Hollywood-Regisseur berühmt gewordene Elia Kazan gehörte. Steiner hatte sich kurz zuvor der von der Workers Film and Photo League abgespaltenen Gruppe Nykino angeschlossen, an der auch Leyda sich nach seiner Rückkehr aus Moskau beteiligte. Formal avanciert und auf schauspielerischer Improvisation begründet, parodiert PIE IN THE SKY die Unzulänglichkeit kirchlicher Hilfsorganisationen während der Weltwirtschaftskrise. Anstatt die politischen Ursachen von Armut und Hunger anzugehen, ergingen sich diese kirchlichen Organisationen in jenseitigen Heilsversprechen. Damit adressiert der Film auch den Eskapismus der Filmindustrie, indem er ihm eine politisch bewusste Form der Unterhaltung entgegenhält.

In nachgestellten Szenen berichtet THE WORLD TODAY: BLACK LEGION von den realen Ereignissen, die zur Ermordung eines Arbeiters durch die dem Ku Klux Klan nahestehende rassistische Black Legion geführt haben. Es handelt sich um eine von nur zwei fertiggestellten Folgen der von Nykino produzierten Wochenschau The World Today, die als revolutionäre (und sorgfältiger recherchierte und ausgearbeitete) Antwort auf die kommerzielle Wochenschau The March of Time konzipiert war. Trotz des Reenactments versprach sich Willard Van Dyke, der Kamermann des Films, die “Wirkung und Funktion eines Dokumentarfilms”. Der Film galt lange als verschollen, heute hat diese Auseinandersetzung mit dem “shadow of fascism over America” eine beunruhigende Aktualität.

In ihrem ersten Farbfilm, SYNCHROMY NO. 4 (ESCAPE), hergestellt in einem Zweifarben-Verfahren, erzählt Mary Ellen Bute mit abstrakten Elementen eine simple Geschichte zu Johann Sebastian Bachs “Toccata und Fuge in d-Moll”: ein rot-oranges Dreieck versucht aus einem Gitter vertikaler und horizontaler Linien auszubrechen; der blaue Hintergrund suggeriert, so die zeitgenössische Filmkritikerin Cecile Starr, “vielleicht Freiheit”. Bute interessierten die Wechselbeziehungen von Farben, Form, Bewegung, Musik und mathematischen Relationen, und sie experimentierte mit selbstentworfenen Apparaturen und unterschiedlichen Animationsverfahren. Später verwendete sie auch Oszilloskope. SYNCHROMY NO. 4 spielt auf die amerikanische Kunstrichtung der Synchromisten an, die in den 1910er Jahren synästhetische Verbindungen von Farben und Klängen untersuchte. Trotz der abstrakten Gestaltung, waren Butes Filme beim breiten Publikum erfolgreich und wurden unter anderem als Vorfilme für Hollywood-Produktionen gezeigt. Scheinbar weit entfernt von der politischen Ausrichtung des zeitgenössischen Experimentalfilms, gab es dennoch Überschneidungen, etwa in der Zusammenarbeit mit Lewis Jacobs, der auch Mitglied der Workers Film and Photo League war.

FIVE FILM EXERCISES: Nach seiner Rückkehr aus Moskau in die USA arbeitete Jay Leyda ab 1936 als Kurator in der Filmabteilung des Museum of Modern Art in New York. 1940 musste er diese Position in der Folge einer antikommunistischen Kampagne gegen ihn aufgeben. Er ging wenig später nach Los Angeles, um als technischer Berater für Warner Bros. zu arbeiten. In Los Angeles traf er auf John und James Whitney, zwei Brüder, beide noch in ihren Zwanzigern, die sich mit der Kreation von visueller Abstraktion und synthetischem Klang beschäftigten. Leydas Faszination an der Arbeit der Whitneys hat vielleicht auch mit seiner damaligen Arbeit an der Übersetzung von Sergej Eisensteins Schriften und dessen Konzept des visuellen Kontrapunkts zu tun. Für die Zeitschrift „Arts & Architecture“ schrieb Leyda 1945 einen enthusiastischen Artikel über die beiden, der mit heute archivalisch wertvollen Fotos ihrer selbstgebauten Apparaturen illustriert ist. In den FIVE FILM EXERCISES verwendeten die Whitneys diese Apparaturen, um abstrakte visuelle Formen in Bewegung mit direkt auf die Tonspur belichteten Klängen in Beziehung zu setzen. Diese für das Verständnis visueller Musik bahnbrechenden und noch immer fesselnden Experimente wirken bis heute nach, sowohl in der Computergrafik als auch in filmischen Spezialeffekten. Leyda schrieb über die Schwierigkeiten, diese neuartigen Arbeiten zu beschreiben, man fände sich “hilflos schwimmend in einem Meer wenig hilfreicher Vergleiche mit anderen Künsten wieder – oder dabei, die abgenutze Terminologie abstrakter Malerei zu vermeiden, um dieses neue von den Whitneys entwickelte Ding zu benennen – oder man erliegt der Faszination des romantischen Schauspiels von Filmkünstlern, die im Zentrum der globalen Filmindustrie arbeiten, ohne dass diese sich ihrer Existenz bewusst wäre.”

Sarah Kathryn Arledge hatte schon in den 1930ern begonnen, an einem quasi-abstrakten Tanzfilm zu arbeiten. Technische und finanzielle Schwierigkeiten zögerten die Fertigstellung immer wieder hinaus. 1947 unternahm sie, inspiriert durch die Reihe „Art in Cinema“ im San Francisco Museum of Art einen neuen Anlauf. INTROSPECTION wurde noch im selben Jahr bei Art in Cinema uraufgeführt. Arledges Interesse an filmischer Abstraktion entsprang einem ähnlichen Kontext der Farblichtmusik wie das von Mary Ellen Bute. Doch ging es ihr um die Bewegung dreidimensonaler Körper im Raum, menschliche Figuren, von denen nur einzelne Körperpartien zu sehen sind – Beine, Torsi, Arme. Sie habe ihren Ansatz, gibt sie an, fast ohne filmhistorische Vorkenntnisse entwickelt. Eine Ausnahme bildet Eisensteins einstellungsimmanente Montage, die sie in Thunder Over Mexico (Sol Lesser auf der Basis von Eisensteins in Mexiko gedrehtem Material, 1933) kennengelernt hatte. INTROSPECTION ruft – auch darin ist Eisensteins Einfluss spürbar – nicht einfach einen Rückzug in die Innerlichkeit auf. Vielmehr geht es um die dialektische Beziehung von objektiven Raumzusammenhängen und subjektiver kinästhetischer Raumerfahrung. (Henning Engelke)

Alle Filme kommen von Light Cone Distribution, Paris.

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